Gabi Massier
Pädagogische Leiterinnen der WDS Kinder- und Jugendhilfe Bad Arolsen
"Wenn Games nicht nur als Beschäftigungstherapie für Kinder eingesetzt werden, sondern von Erwachsenen interessiert begleitet werden, dann kann eine Brücke zwischen analog und digital geschlagen werden, von der beide Seiten auf der Beziehungsebene lernen und profitieren können."
Was haben Kinderheime mit Computerspielen zu tun?
Eines der Ziele der Heimerziehung ist es Kindern, Alltagserleben zu ermöglichen. Das bedeutet also auch weitestgehend zu versuchen, eine Normalität herzustellen, die Kinder erleben, die bei ihren Familien aufwachsen können.
In den Einrichtungen der Jugendhilfe wird gespielt! Und an Computern gelernt, ganz einfach deshalb, weil es zur Lebenswelt junger Menschen heute mit dazu gehört. Heimerziehung darf nie starr und auf Althergebrachtes beharrend sein, vielmehr muss sie mit den ihr anvertrauten jungen Menschen dynamisch und flexibel sein, damit den Kindern später möglichst viele Türen offenstehen, dazu zählt auch digitale Teilhabe.
Wie können Kinder in Kinderheimen an der digitalen Welt partizipieren?
Ich denke, die Ausstattung mit digitalen Medien ist unterdessen in allen Formen der Heimerziehung Standard, das heißt, dass größere Kinder vielleicht schon Smartphones oder Handheld-Konsolen besitzen, es in Wohngruppen Spielkonsolen gibt oder die Zeiten am Gruppencomputer für Online-Spiele genutzt werden. Das stellt vielleicht einen der größten Unterschiede dar: die Kinder besitzen in der Regel kein eigenes Tablet, keinen eigenen Laptop oder Computer. Dinge und Zeiten, die sich geteilt werden müssen. Und tatsächlich stellt die digitale Ausstattung die stationären Jugendhilfeeinrichtungen auch immer wieder vor Herausforderungen, da die Digitalisierung noch nicht so sehr in der Refinanzierung der Tagessätze durch die öffentlichen Jugendhilfeträger (Landkreise und kreisfreie Städte) verankert ist, wie es den Kindern zu wünschen wäre, um ihnen Partizipation, Normalität und Alltagserleben zu ermöglichen.
Gibt es Fortbildungen zu dem Thema?
Die paritätischen Dachverbände und auch andere Fortbildungsmöglichkeiten stehen den pädagogischen Fachkräften zur Verfügung, um sich mit den Chancen und Risiken im Umgang mit digitalen Medien vertraut zu machen. Ansonsten, denke ich, obliegt es dann vor allem der Verantwortung der einzelnen Jugendhilfeeinrichtungen, sich konzeptionell darauf auszurichten und sich, extern und intern weiterbildend, in der der Begleitung der jungen Menschen beim gefahrlosen Entdecken der digitalen Welt zu schulen.
Spielen Sie selbst? Ihr erstes Computerspiel?
Mein erstes Computerspiel war irgendwann in den 1980ern ein kleines Jump & Run-Spiel, ein Mini-Handheld. Spannend war natürlich auch der C-64 des großen Bruders, mit den ersten piependen, mega-gepixelten Arcade-Spielen… da durfte ich leider nicht so häufig ran.
Wie war Ihr Eindruck? Wie hat Sie das geprägt?
Faszinierend, weil es mich auf eine ganz andere Art und Weise gefordert hat, als es andere Spiele taten. Und weil man gegen die sogenannte ‚künstliche Intelligenz‘ antreten musste.
Welchen Anteil nehmen Computer- und Konsolenspiele heute in Ihrem Leben ein?
Ich bin eher eine Schlechtwetter-Spielerin auf dem Tablet, dann wenn sich gar keine Alternative mehr anbietet. Oder zum Abschalten: irgendwelche ‚Bubbels‘ kombinieren, Mah-Jongg etc.. Überschaubare Levels, möglichst wenig Hektik. Ein bisschen knifflig darf es bitte schon sein.
Worin besteht zum einen Ihrer Meinung nach die Faszination, zum anderen die Qualität eines Spiels?
Faszinierend empfinde ich interessante Spielkulissen, tolle Grafiken, abwechselnde Aktionen, geistige Herausforderungen und gute Geschichten, die die Spiele erzählen.
Und genauso individuell wie die Beurteilung der Faszination, würde ich auch die Qualität beschreiben: dass mein Kopf mitarbeiten muss und ich ein Spiel abschließen kann, ohne das Gefühl zu haben, mit stereotyp sich wiederholenden Handlungen meine Zeit verballert zu haben und aggressiv zu werden.
Was möchten Sie Erziehenden zu diesem Thema auf den Weg geben?
Ein wichtiger Punkt lautet ‚authentisch bleiben‘. Eltern bleibt bitte echt mit dem, was ihr von den Kindern im Umgang mit digitalen Medien erwartet. Interessiert euch für das, was eure Kinder tun, begleitet sie und lasst euch von ihnen ihre Welt erklären. Erklärt ihnen auch eure Welt. Immer wieder miteinander kommunizieren. Bleibt präsent, anwesend und ansprechbar. Lehrt eure Kinder kritisch zu sein – und so schwierig das dann auch werden mag: Dreh und Angelpunkt ist dabei eure eigene Kritikfähigkeit.
Was raten Sie Kindern in Umgang mit Games?
Kids, lernt das Gleichgewicht zu halten zwischen dem, was digital und analog passiert und wichtig ist. Seid fair zu euch selbst und zu anderen. Traut euch „Nein“ zu sagen und euch Hilfe zu holen, wenn mit der digitalen Welt etwas schräg läuft. Trainiert euer Bauchgefühl: Ihr wisst schon, wie doof sich das anfühlt, wenn man total aufgedreht ist! Werdet euch selbst bewusst. Und: verabredet euch mit anderen zum ‚gamen‘, bleibt im Kontakt mit anderen – und somit auch zu euch selbst!
Welche Chancen stecken in Games für Bildung?
Unter anderem auch für die Ausbildung emotionaler Kompetenzen, denn die Lust am sich Ausprobieren und das Verlieren lernen sind wichtige Dinge, die Kinder beim Spielen generell - also auch bei Games - als Fähigkeiten erwerben können. Und das am besten in Gemeinschaft. Spiele geben uns allen außerdem die Möglichkeit, Kreativität zu entwickeln, die wir in der analogen Welt immer wieder benötigen.
Wenn Games nicht nur als Beschäftigungstherapie für Kinder eingesetzt werden, sondern von Erwachsenen interessiert begleitet werden, dann kann eine Brücke zwischen analog und digital geschlagen werden, von der beide Seiten auf der Beziehungsebene lernen und profitieren können.